
Jüdisches Museum Berlin; Foto: Yves Sucksdorff
Das Jüdische Museum Berlin zeigt noch bis zum 23. November 2025 eine eindrucksvolle Ausstellung über jüdische Designerinnen des 20. Jahrhunderts – kreativ, mutig, bahnbrechend.
Sie waren Künstlerinnen, Unternehmerinnen, Gestalterinnen des modernen Lebens – und sind dennoch heute fast vergessen: jüdische Designerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit der Ausstellung „Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne“ widmet sich das Jüdische Museum Berlin erstmals umfassend den Biografien und Werken von mehr als 60 jüdischen Frauen, die im frühen 20. Jahrhundert in Deutschland gestalterisch wirkten.
Ihr Beitrag zur Entwicklung der angewandten Künste war bedeutend – doch die NS-Verfolgung setzte ihren Karrieren häufig ein jähes Ende, und die Nachkriegsgeschichte hat ihre Spuren oft vollständig ausgelöscht.

Mehr als 400 verschiedene Exponate
Kuratiert von Michal Friedlander, versammelt die Ausstellung über 400 Exponate – von Textilien, Schmuck, Keramik und Holzarbeiten bis zu Modeentwürfen, Grafiken und Kinderbüchern.
Die Schau rekonstruiert nicht nur die Lebenswege der Künstlerinnen, sondern bettet ihre Arbeit auch in die gesellschaftlichen Umbrüche der Zeit ein: in die Emanzipationsbestrebungen jüdischer Frauen, in die Möglichkeiten und Grenzen weiblicher Berufstätigkeit, in die Transformation von Konsumkultur und ästhetischer Moderne.
Einige Namen wie Anni Albers, Friedl Dicker oder Tom Seidmann-Freud mögen noch bekannt sein. Die meisten anderen wurden jedoch aus dem kulturellen Gedächtnis verdrängt. Ihre Geschichten zeugen von Talent und Durchsetzungswillen – und davon, wie schwer es war, sich als Frau und Jüdin in einer männlich dominierten, zunehmend antisemitischen Gesellschaft zu behaupten.

Grete Marks © Estate of Margarete Marks. All rights reserved / VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Zehn thematisch aufgebaute Kapitel
Die Ausstellung ist in zehn thematisch aufgebaute Kapitel gegliedert. Sie beginnt mit einem Blick auf die strukturellen Hürden, denen junge Frauen um 1900 begegneten: eingeschränkte Rechte, begrenzte Ausbildungswege, gesellschaftliche Erwartungen an Ehe und Familie.
Umso bemerkenswerter ist, dass gerade jüdische Frauen an künstlerischen Ausbildungsstätten überproportional vertreten waren – auch, weil innerhalb jüdischer Milieus Bildung einen hohen Stellenwert hatte. Viele der in der Ausstellung gezeigten Designerinnen gehörten zu den ersten Frauen ihrer Generation, die sich in bislang männlich dominierten Handwerken professionalisierten.
Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Zeit der Weimarer Republik, als die moderne Konsumkultur neue Chancen für gestalterische Berufe eröffnete. In Werkstätten, kleinen Familienbetrieben oder als selbstständige Designerinnen entwarfen jüdische Frauen Alltagsgegenstände, Moden, Ritualobjekte.

Teil einer neuen visuellen Kultur
Ihre Produkte waren Teil einer neuen visuellen Kultur, die nicht zuletzt von weiblicher Selbstinszenierung geprägt war – etwa durch die „Neue Frau“, die sich unabhängig, berufstätig und modern präsentierte. Doch auch wenn diese Frauen neue Rollenbilder entwarfen, war finanzielle Unabhängigkeit selten. Viele waren auf familiäre Unterstützung angewiesen.
Ein eigenes Kapitel widmet sich dem jüdischen Kinderzimmer: In der Reformpädagogik wuchs der Bedarf an kindgerechtem Material – jüdische Gestalterinnen entwickelten pädagogisch wertvolle Bücher, Spielzeug und Unterrichtsmaterialien, oft mit dem Ziel, jüdische Identität früh zu stärken. Diese kreative Nische war nicht nur ästhetisch spannend, sondern auch ökonomisch ein wichtiges Arbeitsfeld für Künstlerinnen.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 verschärften sich die Bedingungen dramatisch. Berufsverbote, gesellschaftliche Ausgrenzung, Enteignung, Verfolgung: Viele der gezeigten Biografien enden im Exil, in Internierung oder Tod.
Die Ausstellung dokumentiert auch den vielfältigen Widerstand – kreativ, zivil, politisch – den einige Frauen leisteten. Doch selbst jene, die überlebten, mussten im Exil unter widrigsten Umständen neu anfangen. Oft ohne Sprachkenntnisse, ohne Netzwerke, ohne gesellschaftliche Anerkennung.
Zurück ins Zentrum der Gestaltungsgeschichte
Im letzten Kapitel „Neue Realitäten“ zeigt die Ausstellung, wie tiefgreifend die Lebenswege dieser Frauen durch die historischen Brüche gezeichnet waren. Viele produzierten in Heimarbeit, passten ihren Stil notgedrungen an neue Märkte an oder gaben das Gestalten ganz auf.

Ihre Namen gerieten in Vergessenheit – nicht wegen fehlender Qualität, sondern weil ihr Werk unter Bedingungen entstand, die ihre Wirkungsmöglichkeiten systematisch einschränkten.
„Widerstände“ ist mehr als eine kunsthistorische Wiederentdeckung. Die Ausstellung versteht sich als kulturelle Geste der Wiedereingliederung – und als Erinnerung daran, wie sehr weibliche, jüdische Perspektiven die Moderne mitgeprägt haben. Das Jüdische Museum Berlin setzt diesen Künstlerinnen damit ein überfälliges Denkmal – und rückt sie dorthin, wo sie hingehören: zurück ins Zentrum der Gestaltungsgeschichte.
INFOS
Laufzeit: 11. Juli bis 23. November 2025
Ort: Jüdisches Museum Berlin, Altbau, 1. OG
Eintritt: 10 € / erm. 4 €
Im Hirmer Verlag erscheint ein Katalog in deutscher Ausgabe
(304 Seiten, 250 Abbildungen in Farbe, 39,90 Euro).
Die Website mit aktuellen Informationen zur Ausstellung finden Sie unter
https://www.jmberlin.de/widerstaende
