„Tickt’s noch richtig?“

Aus Anlass des Todes des luxemburgischen Uhrmachers und Uhrensammlers Jos Freylinger

Am vergangenen Dienstag, den 9. Mai 2023 starb vollkommen unerwartet der Luxemburger Jos Freylinger. Aus diesem Anlass veröffentlicht Sammler.Net heute das Porträt, das François Besch – der Gründer und Betreiber von Sammler.Net – im Jahr 2017 für das Tageblatt über den sympathischen und über die Grenzen des Großherzogtums bekannten Uhrmacher, realisiert hatte.

„Um es gleich vorwegzunehmen: Wer auf die im Titel gestellte Frage mit „Nein“ antwortet, dem kann Jos
Freylinger vielleicht helfen. Der gebürtige Escher, der erst im Ruhestand in seiner Uhrmacherkarriere so richtig durchstarten konnte, repariert Ticker in allen Formen und Größen. Nur alt sollten sie sein …

Familientradition Uhrmacherei

Eigentlich hätte alles anders kommen sollen. Genauso wie schon sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater hatte der 1956 geborene Jos Freylinger – und sein jüngerer Bruder ebenfalls – das Uhrmacherhandwerk erlernt. In der Alzettestraße in Esch betrieb die Familie Freylinger ihr Unternehmen.

Während sich die Mutter um den Verkauf im Laden kümmerte, war der Vater im Atelier für die Reparaturen zuständig. „Als Mutter starb, schlossen wir den Laden in der Alzettestraße und
zogen in die Wallstraße. Hier fand kein Verkauf mehr statt, lediglich das Reparaturatelier blieb
bestehen“, erklärt Jos Freylinger. Er hätte dieses übernehmen sollen …

Der Uhrmacher aus Leidenschaft bei seiner Arbeit (Bilder: François Besch/Tageblatt)

Doch Mitte der 1970er Jahre bahnte sich nicht nur die Krise in der Stahlindustrie an. Auch die Schweizer Uhrenindustrie fing an zu leiden. Die ersten Quarzuhren aus Fernost begannen, den Markt zu überschwemmen. „Das waren alles keine guten Voraussetzungen für eine sorglose Zukunft als Uhrmacher.“ So wurde umgesattelt.

Jos Freylinger studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, half, im Rahmen der Aktion „Lutte contre la pauvreté“ die Initiative „Polygone“ aufzubauen, arbeitete anschließend zunächst beim LCGB und dann bei der katholischen Kirche, hauptsächlich in der Erwachsenenbildung. So vollkommen ließ ihn die
Uhrmacherei jedoch nicht los.

Ein Ruhestand, der keiner ist

Sie blieb aber lediglich ein Hobby, bis Jos Freylinger vor rund drei Jahren in den Ruhestand trat. Der streng genommen gar keiner wurde. Denn jetzt hatte er endlich Zeit, seinen Traumberuf auszuüben. „Ich beantragte bei der Handwerkerkammer die Zulassung, um beruflich als Uhrmacher arbeiten zu können. Ohne die wäre es mir etwa nicht möglich, Ersatzteile bei den Schweizer Herstellern zu bestellen.“

Und der frischgebackene Ruheständler, der übrigens so etwas wie ein wandelndes Uhrenlexikon ist und zu fast jeder der im Laufe der Jahrzehnte in seine beeindruckende Sammlung gelangten Uhren eine Geschichte oder Anekdote zu erzählen weiß, legte los. Er repariert wertvolle Uhr-Antiquitäten aus dem 18. genauso gerne wie Comtoise-Uhren aus dem 19. Jahrhundert, Taschenuhren aus der Zeit, in der sein Uropa noch ein Kind war, Armbanduhren mit Handaufzugs- oder Automatikwerken …

Ordnung muss sein!

Vor allem was die in den 1970er Jahren aufgekommenen sogenannten „Stimmgabeluhren“ angeht – sie benötigen für die zum exakten Gang erforderlichen Schwingungen eine eingebaute, winzige Stimmgabel –, gilt er heute als einer der Spezialisten weit über die Landesgrenzen hinaus. „An diesen kann heute kaum jemand mehr arbeiten“, sagt er. Jos Freylinger gelingt es fast immer, die schon für tot erklärten Ticker zu neuem Leben zu erwecken.

„Manchmal dauert es halt etwas. Nicht immer liegen die Pläne vor, oft sucht man lange vergeblich nach Ersatzteilen. Vor allem, wenn es sich um besonders alte oder besonders seltene Uhren handelt.“ Aufgeben tut der symphatische Bartträger sehr ungern, ja eigentlich nie. Besonderes Interesse hegt er an alten Uhren aus luxemburgischer Herstellung. Etwa solche der Uhrmacherfamilie Strauss aus Redingen, die
bereits im 18. Jahrhundert u.a. für ihre Kirchturmuhren bekannt und bis in die 1920er Jahre aktiv
war.

Etliche Arbeitsstunden hat Jos Freylinger in die Restaurierung dieser Pendeluhr aus dem Lütticher Atelier von Hubert Sarton (1748-1828) investiert. Sie verfügt über vier Zifferblätter (Stunden, Minuten, Sekunden, Datum und Wochentag) und über zwei Schlagwerke, von denen das eine zusätzlich die Gewichte wieder hochzieht. Eine Rarität!

Überhaupt sind es die ganz, ganz alten Uhren, für die sein Herz besonders schnell schlägt. „Aber ich arbeite grundsätzlich gerne an allem, was mechanisch ist. Von reinen Quarzwerken lasse ich die Finger.“
Frönt auch bei Ihnen zu Hause noch irgendwo ein Zeitmesser in einer Schublade oder auf dem Dachboden, mit dem Sie vielleicht familiäre Erinnerungen verbinden, dem Dornröschenschlaf? Wer weiß, vielleicht kann Jos Freylinger auch dieser Uhr wieder neues Leben einhauchen …

Jos Freylinger verfügt auch über eine umfangreiche Sammlung an Uhren: Zu dieser zählt auch eine stattliche Anzahl von Taschenuhren aus nahezu allen Epochen und Ländern. Diejenige auf diesem Bild ist jedoch etwas ganz Besonderes. „Nicolas Görres“ steht auf dem Zifferblatt. Kommt Ihnen bekannt vor?

Luxemburgische Taschenuhr aus dem Hause Goeres, einer der Schätze von Jos Freylingers Sammlung

Genau, heute heißt die Familie Goeres und handelt mit hochwertigen Uhren aus den bekanntesten
Schweizer Werkstätten. Diese Uhr entstand um 1890 im Atelier von Nicolas Görres, der hierzu Teile verwendete, die aus dem Betrieb stammten, der wenige Jahre später die Marke Omega ins Leben
rief. Sozusagen eine echte Omega aus Luxemburger Produktion …“

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