Strafzettel wegen flatternder Vorhänge: Blitzer des 19. Jahrhunderts

1894 bestellte sich der deutsche Unternehmer Alexander Gütermann ein Automobil. Als Sohn von Max Gütermann, der das heute noch bestehende Unternehmen (es gehört allerdings mittlerweile der US-amerikanischen ‚Elevate Textiles, Inc‘), 1864 gründete, verfügte er über das nötige Kleingeld, sich den ‚Carl Benz Motorwagen‘ leisten zu können. Und auch über den Strafzettel, den er schon wenig später erhielt, konnte er wohl nur schmunzeln …

Gütermann wollte mehr PS

1884 hatte Alexander zusammen mit seinen Brüdern die Firma Gütermann in Gutach (Breisgau) von seinem Vater übernommen. Damals war es schon ein bedeutendes Unternehmen, das immer wieder expandieren musste. Spezialität des Unternehmens: Nähseide!

Die Firma Gütermann auf einer Reklame aus der Zeit um 1900

Als er 1894 sein Automobil orderte, war er der erste in Gutach, der ein solches Gefährt sein eigen nennen durfte. Er soll immer recht sportlich damit unterwegs gewesen sein, das zumindest erklärte seine Urenkelin, Alexandra Gütermann, in einem Interview mit der Badischen Zeitung. Sie erinnere sich an Geschichten, die im Familienkreis über den schnellen Gutacher kursierten, daran, dass sich anscheinend die Bäuerinnen im Feld erschrocken bekreuzigten, wenn er mit seinem ‚Motor-Pferd‘ vorbeiraste …

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Bei dem Auto soll es sich um das 99. Exemplar des Modells Viktoria handeln, für das er laut Mercedes-Benz 4075 Mark gezahlt haben soll. Das waren 200 Mark mehr als für die Basisversion. Gütermann reichten die drei PS, die es standardgemäß gab, nicht aus, er bestellte einen stärkeren Motor mit vier PS.

Damals gab es bereits eine Geschwindigkeitsbegrenzung

Bis zu 30 Kilometer schnell soll Gütermann’s Fahrzeug gewesen sein, dabei herrschte bereits damals eine Geschwindikeitsbegrenzung: Innerorts durfte man mit maximal 6 Stundenkilometer und ausserorts immerhin mit 12 unterwegs sein.

Eines schönen Sonntags, im Frühling 1895, war Alexander Gütermann wieder einmal sehr sportlich unterwegs. Er fuhr auch durch Denzlingen, eine kleine Gemeinde rund zehn Kilometer nördlich von Freiburg im Breisgau. Dort erhielt er … den ersten bekannten Strafzettel der Automobilgeschichte.

Dies weil er viel zu schnell über die holprigen Straßen des Ortes gefahren sein soll. So schnell, dass sogar die Vorhänge in einer Gastwirtschaft geflattert haben sollen. Das wird zumindest auf dem Strafzettel vom Mai 1895 behauptet.

Flatternde Vorhänge waren demnach die Vorgänger der heute so von vielen verhassten Blitzer … Ob es sich nun tatsächlich um den allerersten Strafzettel weltweit handelt oder nicht, konnte bislang weder bestätigt, noch widerlegt werden. „Zumindest ist er aus der frühesten Frühzeit des Benzin-Automobils, und bei unseren Recherchen haben wir keine konkreten Hinweise auf frühere Automobil-Strafmandate gefunden“, betonte Gerhard Heidbrink von der Marketingabteilung von Mercedes-Benz, als das Dokument vor einigen Jahren auftauchte.

„Sorry Denzlingen, kommt nicht wieder vor“

Auf jeden Fall nutzte der Stuttgarter Automobilbauer das skurrile Schriftstück kurz danach zu einer lustigen Werbespot:

1899 gründete der gestrafte Unternehmer übrigens, gemeinsam mit anderen betuchten Fahrern, einen der ersten Automobilclubs in Deutschland, den Autoclub Freiburg. Alexander Gütermann starb am 17. November 1941 in Gutach. Sein ‚Motorpferd‘ blieb übrigens 115 Jahre lang in Familienbesitz, bevor man es an das Niedersachsener Automobil-Museum ‚PS Speicher‘ verkaufte.

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