Schneller Überblick
Im Schatten der industriellen Revolution Württembergs erhebt sich eine Unternehmerfamilie, die bis heute Spuren hinterlassen hat. Am Ursprung selbiger stand Johannes Merkel – Textilfabrikant, Visionär und Vater der berühmten „Esslinger Wolle“.

Leben und Wirken des Textilfabrikanten sind untrennbar mit der Erfolgsgeschichte der Kammgarnspinnerei Merkel & Kienlin verbunden, die über Generationen hinweg deutsche Textilgeschichte schrieb. Geboren 1798 in Ravensburg, verlor Johannes Merkel bereits als Kleinkind seinen Vater.
Weitsicht und kaufmännischer Instinkt
Prägend für seinen Lebensweg wurde sein Stiefvater Christian Friedrich Schöllkopf, in dessen Umfeld der junge Merkel kaufmännisches Denken und Unternehmergeist aufsaugte. Früh sammelte er Erfahrungen im Handel – von der Zichorienfabrik in Stuttgart bis zur Commis-Tätigkeit bei Samuel G. Liesching.
Zwölf Jahre lang führte er später das Ladengeschäft seines Stiefvaters in Ravensburg, bevor er 1830 in Esslingen einen folgenreichen Schritt wagte.
Gemeinsam mit dem Tuchmacher Conrad Wolf und dem Kaufmann Ludwig Kienlin übernahm Merkel eine hochverschuldete Textilfabrik – gegründet ursprünglich mit französischem Kapital der Banque Veuve Clicquot.
Was andere als Risiko sahen, erkannte Merkel als Chance. Mit Weitsicht und kaufmännischem Instinkt baute er das Unternehmen um, investierte kontinuierlich in neue Technologien – und legte so den Grundstein für eine der erfolgreichsten Kammgarnspinnereien Süddeutschlands.
Vom Wollgarn zur Weltmarke
Zunächst wurden Tuche, Decken und Strickgarne in gemieteten Räumen gefertigt. Doch bald erkannte Merkel die Zeichen der Zeit: Angesichts wachsender Konkurrenz aus Preußen und Sachsen gab er die Weberei auf und spezialisierte sich vollständig auf die Produktion von Kamm- und Strickgarnen.
Das war die Geburtsstunde der „Esslinger Wolle“. Eine strategische Entscheidung mit Weitblick, denn die feine Wolle aus Esslingen wurde bald international geschätzt.

Johannes Merkel war kein Unternehmer des schnellen Profits. Getreu seinem Grundsatz, Gewinne stets in den Betrieb zu reinvestieren, modernisierte er die Produktion konsequent: 1842 ließ er die zweite Dampfmaschine Württembergs installieren, 1856 folgte die Gasbeleuchtung – ein deutliches Zeichen für seinen Innovationsgeist.
„Esslinger Wolle“, mehr als nur ein Produkt
Als er sich 1869 aus der Firma zurückzog, übernahm sein Sohn Oskar Merkel die Leitung. Es war der Beginn einer erfolgreichen Unternehmerdynastie, die das Unternehmen bis in die 1970er-Jahre fortführte.
Was als industrielles Pionierprojekt begann, wurde zu einem kulturellen Phänomen: Die „Esslinger Wolle“ fand nicht nur Eingang in Haushalte, sondern auch in die Herzen der Handarbeitsliebhaberinnen.
Ab den 1930er-Jahren erschien regelmäßig das „Esslinger Wollheft“ – ein Magazin, das mit Strick- und Häkelanleitungen nicht nur Mode, sondern auch Lebensgefühl transportierte.

Während in frühen Ausgaben noch praktische Kleidungsstücke wie Leibchen und Socken dominieren, wurden die Designs später immer modischer, kunstvoller – der Wandel von Alltagsprodukt zum Hobby spiegelt sich hier eindrucksvoll wider.
„Fortissimo“: Schaufensterreklame bei „Bares für Rares“
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand mit der Marke Fortissima eine neue Produktlinie, die für ihre hochwertigen, strapazierfähigen und pflegeleichten Garne bekannt ist. Die Fortissima-Garne zeichnen sich durch ihre Vielseitigkeit und Langlebigkeit aus, was sie besonders für Socken, Schals und andere Accessoires beliebt macht.
In der ZDF-Sendung „Bares für Rares“ gelangte am Freitag, den 2. Mai 2025 ein Schaufensterdisplay dieser Marke zu Verkauf.
Die mechanische, durch einen Elektromotor betriebene Schaufensterwerbung, die um 1960 entstanden sein dürfte, besteht aus schwarz lackiertem Fichtenholz, bedruckter Pappe und einem in Intervallen aufleuchtenden Kunststoff-(Verkehrs)-Schild mit dem bekannten Logo von Esslinger Wolle.

Das witzige Display zeigt eine Hochrad fahrende weiße Katze mit Strümpfen aus „Esslinger Wolle“. Der Mechanismus setzt das Rad in Bewegung.
Der Verkäufer wünschte sich dafür 300€, Experte Detlef Kümmel schätzte es auf 350 bis 400 und Händler Christian Vechtel zahlte deren schließlich 600. Ein durchaus korrekter Preis für diese Rarität aus dem Bereich Historische Reklame, wie wir finden.
1973: Ein Kapitel Industriegeschichte wird liquidiert
Mit dem allgemeinen Niedergang der Textilindustrie in Deutschland endete schließlich auch die Geschichte der Kammgarnspinnerei Merkel & Kienlin. 1973 wurde das Unternehmen in vierter Generation liquidiert, zwei Jahre zuvor waren die Markenrechte bereits an die Schoeller Eitorf AG übergegangen.
Geblieben ist jedoch das Erbe: die Erinnerung an einen Unternehmer, der mit Mut und Innovationskraft ein Stück Industriegeschichte schrieb – und an eine Wolle, die einst aus Esslingen in die Welt hinauszog.
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